Die kleine Sirin kann wieder lachen. Und das kann sie besonders gut. Ihr Lächeln ist geradezu ansteckend. Im Februar war das noch ganz anders. Da war dem damals eineinhalb Jahre alten Mädchen und ihren Eltern Cüneyt und Sandra Ekiz aus Bremen mit einem Mal nur noch zum Weinen zumute. Sirin konnte gerade erst laufen und taperte neugierig durch die Küche. Ihr Vater hatte sich einen Tee aufgegossen, wandte sich für zwei Sekunden zur Seite, um die Verpackung in den Müll zu werfen. „Als ich mich wieder umdrehte, schrie Sirin schon“, erinnert sich Cüneyt Ekiz. Seine Tochter hatte sich den heißen Tee über Gesicht und Brust geschüttet. Es war der Anfang einer schlimmen Zeit für Familie Ekiz.
Verbrennungen und Verbrühungen sind keine Seltenheit. Bundesweit sind es etwa 30.000 Fälle jährlich, die ärztlich versorgt werden. „Wir behandeln stationär pro Jahr 80 bis 90 Kinder mit thermischen Verletzungen“, sagt Andrea Etzler, Kinderchirurgin am Klinikum Bremen-Mitte. Diese Zahlen seien seit Jahren relativ konstant. Auch 2016 sind es schon wieder 80 Fälle. Und die besonders gefährlichen Wochen mit flüssigem Kerzenwachs, heißen Getränken, funkenden Feuerwerkskörpern und knisternden Öfen kommen ja erst noch.
Gerade wenn Kinder mobil werden, steigt die Gefahr für Unfälle. So wie im Fall von Familie Ekiz. In hektischen, spielerischen und unüberlegten Situationen passieren die meisten Verbrennungen und Verbrühungen. Kinder können nicht überblicken, was zum Beispiel auf dem Küchentisch steht. Sie sehen nicht, ob da oben etwas Heißes in der Tasse ist, dass das weiße Kabel zum Wasserkocher gehört oder sie ihre Hand auf eine Herdplatte legen. Die Folgen können dramatisch sein. Verbrannte Haut, höllische Schmerzen, bleibende Narben.
„Wir haben uns natürlich viele Vorwürfe gemacht“, sagt Sandra Ekiz. Schließlich hatte die Familie ihrem Kind in einem minimalen Moment der Unachtsamkeit riesige Schmerzen zugefügt. Es dauerte lange, bis überhaupt wieder so etwas wie Zuversicht in Ihnen wuchs, dass die Geschichte doch noch ein relativ gutes Ende nehmen könnte. Denn zu den physischen Schmerzen sind da ja auch die sichtbaren, bleibenden Schäden. Narben und Rötungen, die die Opfer mitunter ein Leben lang begleiten.
„Wie gut die Verletzungen behandelt werden können, hängt immer von der Schwere der Verletzung ab“, sagt Kinderchirurgin Andrea Etzler. Die Aussichten auf einen guten Heilungsverlauf seien aber mittlerweile recht hoch. Es gibt einen festen Ablauf in der Behandlung. In der Erstversorgung werden vor allem die Schmerzen gelindert. In den Tagen danach wird während einer Operation ein Hautersatz, der am KBM seit 2006 verwendet wird, auf die Wunde aufgetragen. Das Ganze passiert unter Vollnarkose. „So wenig traumatisch wie möglich“ soll die Behandlung ablaufen, sagt Andrea Etzler. Die Kinder seien durch das Unfallerlebnis ja schon geschockt genug. Unter diesem Hautersatz können die meisten Wundflächen wieder abheilen. Ist die Verletzung allerdings zu tief, müsse der nächste Schritt folgen: eine Hauttransplantation.
So war es auch bei der kleinen Sirin. Ein Großteil der verletzten Haut konnte sich nach der ersten OP zwar erneuern. Für einen kleinen Teil am Oberkörper musste bei dem Mädchen jedoch Spalthaut vom Kopf entnommen werden. Ihre schönen, langen Haare wurden dafür komplett abrasiert. „Das war keine leichte Entscheidung“, sagt Cüneyt Ekiz. Denn plötzlich sah das kahle Kind doppelt krank aus. Doch die Alternative wäre Haut vom Oberschenkel gewesen. Und so wäre eine zweite, deutlich sichtbare Narbe entstanden. „Die Haare sind dagegen ja schnell wieder nachgewachsen. Sogar noch schöner als vorher. Die OP-Narbe ist dort nun wie unsichtbar“, findet Sandra Ekiz.
Kinderhaut ist viel empfindlicher
So gut mittlerweile die Behandlung von thermischen Verletzungen ist, so gerne würde Andrea Etzler die Zahl der nötigen Eingriffe deutlich reduzieren. Am besten wären natürlich gar keine brandverletzten Kinder mehr. Stattdessen hat sie eine andere Entwicklung beobachtet. In den vergangenen Jahren sind immer neue heiße Gefahren dazugekommen. So seien etwa Backöfen, die sich selbst reinigen und dabei mehrere hundert Grad heiß werden, im normalen Haushalt immer beliebter geworden. Auch freistehende Kamine haben sich viele Familien in den vergangenen Jahren zugelegt. „Allerdings verzichten die meisten auf eine Absperrung“, sagt Etzler. Es sind aber nicht nur die richtig heißen Sachen, die Kindern Verletzungen zufügen können. „Was bei Erwachsenen kurz zwiebelt, kann bei Kindern schon zu ernsthaften thermischen Verletzungen führen“, sagt Etzler. Das liegt daran, dass Kinderhaut viel dünner und empfindlicher ist als die Haut Erwachsener.
„Die meisten Unfälle könnten eigentlich vermieden werden“, sagt Etzler. Wenn der Unfall doch passiert, dann empfiehlt Etzler dringend, den Notarzt zu rufen. In der Zwischenzeit sollte man die Wunde nicht zu stark kühlen. Lauwarmes Wasser reiche aus, auch damit das Kind nicht zusätzlich noch unterkühlt ist, wenn es ins Krankenhaus kommt.
Die Notarztfahrt, die Operation, die Hauttransplantation, die Behandlungen danach – das alles haben Sirin und ihre Eltern nun hinter sich. Das Thema wird für sie aber trotzdem noch lange präsent bleiben. Sirin trägt nun seit einigen Monaten eine Kompressionsweste am Oberkörper, die verhindern soll, dass die Narben in die Höhe wachsen. Ein halbes Jahr muss sie die Weste noch tragen. Danach kommen alle paar Jahre weitere Kontrolluntersuchungen. Wenn Sandra und Cüneyt Ekiz die verletzten Stellen mit den Fotos von damals direkte nach der OP vergleichen, können sie es manchmal gar nicht glauben, dass die Wunden so gut verheilt sind. Von ihrer Tochter sind sie zudem beeindruckt. Wie tapfer sie die vergangenen Monate gemeistert habe, können sie noch gar nicht glauben. „Wir sind richtig stolz auf sie“, sagt Cüneyt Ekiz. Auch wenn er und seine Frau Sandra es natürlich immer noch am allerliebsten hätten, wenn das alles gar nicht erst passiert wäre.
Unter dem Motto "Heiße Gefahren für Kinder" initiiert der Verein Paulinchen e.V. am 7. Dezember 2016 bundesweit den „Tag des brandverletzten Kindes“. Die häufigste Unfallursache bei thermischen Verletzungen im Kindesalter sind Verbrühungen. Mehr als 70 Prozent der Kinder sind zum Unfallzeitpunkt jünger als fünf Jahre. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.tag-des-brandverletzten-kindes.de.